Le week-end Licht und Finsternis, Teil 2
Sa, 23.11. | 13:00-14:00 | Ö1
„Welch Klänge, welch strahlendes Licht“: Einen schöneren Auftakt könnte es gar nicht geben zu einem „le week-end“ über Licht und Finsternis. Und wieder einmal ist es die Liebe, die Licht und Finsternis so nah beieinander liegen lässt. Deswegen beginnen wir gleich mit einer Geschichte. Rückblende in die Antike: Windgott Zephyr hat sich unsterblich in die Nymphe Chloris verliebt. Das aber wäre, wie so etwas später hieß, eine nicht-standesgemäße Verbindung. Die Beiden sind also von der Gnade der Göttin Diana abhängig, ihrerseits Vorgesetzte der Nymphe. Glücklicherweise ist die Jagdgöttin gerade selbst so fürchterlich verliebt, dass sie größtes Verständnis zeigt. Eine Oper neigt sich ihrem Happy-End zu, Jean-Philippe Rameau lässt Chloris, Zephyr und Diana auftreten. „Quel sons! Quelle vive lumiére“, „Welch Klänge, welch strahlendes Licht“. Auftritt Jagdgöttin Diana zu Ehren des Lichts und der Liebe.Genau das tat 1958 auch Jacques Brel, machte aus gleißendem Licht ein Symbol für brennende Liebe. Gar eine große Orgel begleitet dieses Brelsche Crescendo der Emotionen, das dann endet mit den Worten: „Das aufblitzende Licht wird deinen Namen tragen“.Wenn das Licht sich Bahn bricht: Es ist die Urszene der Schöpfung, wenn sich die ersten Sonnenstrahlen ihren Weg in das finstere Chaos der Welt vor dem göttlichen Schöpfungseingriff erkämpfen. Letzte Woche, im Teil 1 von Licht und Finsternis in „le week-end“, da malte der französische Barockkomponist Jean-Fery Rebel diese Szene in dunklen, drastischen Farben. Heute bitten wir zum selben Thema Joseph Haydn auf die Weltentstehungsbühne und er bedient sich extrem subtiler Mittel. Die ersten Minuten seines Oratoriums „Die Schöpfung“, die „Vorstellung des Chaos“, sind der Idealfall einer Musik für Kenner ebenso wie für dilettierende Liebhaber. Letztere, die Liebhaber, erfreuen sich schlicht der Entwicklung einiger Minuten Musik hin zu einem ruhig zuversichtlichen Ende. Die wahren Kenner und genauen Zuhörer aber haben minutenlang Zeit, schaudernd auszukosten, wie Haydn mit einer schier unglaublichen Aneinanderreihung und Übereinanderschichtung von Dissonanzen das vorgöttliche Chaos in Szene setzt. Selten ist Musik so brutal und so sublim zugleich. Es ist finster und kalt, unheimliche Explosionen erschüttern das All, zaghaft entstehen melodische Lichtlinien, noch reibt sich alles im dissonanten Chaos, aber wir haben knapp sechs Minuten Zeit bis zur Entstehung der Welt. Joseph Haydn, Die Vorstellung des Chaos.Nachsatz: In der Wiener Nationalbibliothek liegen zwei Konvolute mit Haydnschen Handschriften aus der Entstehungszeit der Schöpfung. Das Deckblatt zur „Vorstellung des Chaos“ ist ein leeres Notenblatt in dessen Mitte mit feinsäuberlicher Handschrift einzig das Wort „Chaos“ steht. Das Chaos und die Welt als Wille und Vorstellung.
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