Volkshilfe-Boss Weidenholzer im Interview

Prof. Weidenholzer im InterviewProf. Josef Weidenholzer steht nicht nur der Volkshilfe Österreichs vor. Er ist auch Oberösterreichs breite Schulter im EU-Parlament. Der Anpacker über Medien, insbesondere das Internet, und warum er soziales Blut in seinen Adern fließen lässt!

Sie sind als Präsident der Volkshilfe im Dienst der „guten Sache". Woran krankt es in Österreich um weniger Hilfe zu benötigen?
Ein großer Fehler unserer Zeit ist, dass alles einer Kosten-Nutzen-Rechnung unterliegt. Soziales Engagement fällt diesem Denkschema als Erstes zum Opfer. Doch es ist das Kernstück jeder erfolgreichen und sozialen Gesellschaft ihre Schwachen nicht links liegen zu lassen, sondern zu unterstützen. Toleranz, Rücksicht und auch der finanzielle Einsatz für benachteiligte Menschen zahlen sich langfristig immer aus.

In welchen Bereichen wird Hilfe am meisten benötigt?
Das Aufgabengebiet im sozialen Engagement ist so vielfältig wie die Menschen. Einer der wichtigsten Punkte ist sicherlich die chancengleiche Bildung, legt sie doch den Grundstein der kommenden Generationen unserer Gesellschaft. Aktuell ist die Sicherstellung einer angemessenen Versorgung der Senioren ebenso in der Diskussion wie die Betreuung von Flüchtlingen in unserem Land.

Wie würden Sie Ihren persönlichen Medienkonsum beschreiben und welche Rolle spielt Medienpolitik ganz allgemein im Rahmen der Volkshilfe?
Zurzeit bin ich als Mitglied des EU-Parlaments viel auf Reisen, Medienkonsum heißt für mich immer und überall am Ball zu bleiben. Mit meinem persönlichen Blog und auf Facebook bin ich aber auch Medienproduzent und weiß um den Wert der Freiheit, dort meine Meinung ohne Furcht kundzutun. Im Rahmen der Volkshilfe begegnen mir immer wieder Menschen, die genau deshalb ihre Heimat verlassen mussten.

Welche Rolle spielt das Internet mittlerweile?

Welche Rolle spielt für Sie das Internet – und gibt es da Barrieren, an die Sie stoßen?
Ich würde mich als Internet-Freak bezeichnen. Es ist meine wichtigste Verbindung zur Welt, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Wichtig ist, dass es auch in Zukunft ein freies und wertneutrales Internet geben wird. Provider dürfen nicht unsere Inhalte kontrollieren. Die kulturelle Vielfalt Europas sollte in der ganzen Union uneingeschränkt zugänglich sein. Ich sehe nicht ein, warum etwa ein Nutzer in Belgien daran gehindert wird, bestimmte Videos, Nachrichten oder kulturelle Inhalte aus einem anderen EU-Land aufzurufen. In diesem Zusammenhang setze ich mich als EU-Parlamentarier für ein europäisches Urheberrecht und den Schutz der persönlichen Daten ein.

Welche gesetzlichen Barrieren gehören Ihrer Meinung nach in Sachen barrierefreies Internet noch umgesetzt?
Ein erster Erfolg war der EU-Beschluss, dass bis 2017 alle öffentlichen Internetseiten barrierefrei zugänglich sein müssen. Doch für ein wirklich freies und offenes Internet muss dieser Anspruch auf alle grundlegenden Dienstleistungen wie Nachrichtenseiten, Mediatheken oder „online banking" umgelegt werden.

Es besteht die Gefahr, sozial benachteiligte Personen und Menschen mit Behinderung von den neuen Medien und Technologien auszuschließen. Dieses Phänomen ist unter dem Ausdruck "Digital Divide" bekannt? Wie sehen Sie das Problem?
Es besteht die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft für alle neuen Medientechnologien. Wer es sich leisten kann und die entsprechende Bildung mitbringt, kann alle Vorteile von Internet & Co. nutzen. Sind die Kosten, Know-how oder körperliche Beeinträchtigungen ein Problem, hat das zukünftig Konsequenzen bei der Chancengleichheit bei der Bildung, am Arbeitsmarkt, schlicht weg im gesamten sozialen Leben. Man ist in Gefahr nicht mehr Teil dieser Welt zu sein, ein Fakt, den restriktive Systeme wie Ungarn und Türkei mit Sperren gewisser Seiten ausnützen wollen.

Wo steht Österreich in puncto Barrierefreiheit?

Österreich hat sich auf EU-Ebene verpflichtet, die WAI-Leitlinien umzusetzen. Die Umsetzung der WAI-Leitlinien ist daher fester Bestandteil der E-Government Strategien. Dies bedeutet, dass entsprechende Mindeststandards erfüllt werden müssen. Ist das auch in der Realität so?
Im EU-Parlament habe ich selbst an den Definitionen dieser Leitlinien mitgearbeitet. Unterstützt wurde ich dabei vom österreichischen Blinden- und Sehbehindertenverband. Die Umsetzung ist im öffentlichen Bereich vielfach gelungen. Nun gilt es dieses Konzept auf andere Bereiche auszuweiten, wie Mediatheken, wichtigen Nachrichtenseiten und öffentliche Dienstleister. Und nicht nur der Webinhalt sollte den WAI-Leitlinien unterliegen, auch verfügbare Downloads müssen barrierefrei zugänglich sein.

In Europa gibt es nach EU-Schätzung rund 80 Mio. Menschen mit Behinderungen.
Ist die Tendenz steigend? Und wenn ja, wie kann das alles barrierefrei umgesetzt werden?

Barrierefreiheit im Internet sowie außerhalb des virtuellen Raums hängt vom Willen zur Veränderung ab. Es fängt bei rollstuhlgerechten Eingängen an und hört bei der Anerkennung der Gebärdensprache als Amtssprache leider noch lange nicht auf. Die Beschäftigungsquote für Menschen mit Behinderung beträgt europaweit nur etwa 45 Prozent. Auch wenn überall der Sparstift angesetzt wird, darf es keine ungerechtfertigten Einschnitte bei Leistungen für Menschen mit Behinderung oder bei Projekten für deren soziale Integration geben.


Es gibt einige Vorstöße um im Bereich Barrierefreiheit neue Wege zu gehen. So wie etwa die Stadt Wien, die sich gleich einmal auf das Jahr 2040 plus festgelegt hat, um barrierefreie Lösungen zu bieten. Statt 2016. Wie fühlt man sich dabei?

Natürlich ist es wünschenswert Barrierefreiheit so schnell als möglich umzusetzen. In politischen Belangen ist leider oft ein langer Atem notwendig. Es ist schwierig Druck auszuüben, wenn dem Nichtstun der Verantwortlichen keine Sanktionen drohen. Deshalb ist jeder Beschluss von Gleichheitsbestimmungen, ob von EU oder Österreich nur dann ein Erfolg, wenn auch klar definierte Sanktionen damit verbunden sind.

Wünsche an ein modernes Medien-Zeitalter?

Was würden Sie sich im Bereich neue Medien besonders wünschen?
Das Freiheit und Datenschutz im Internet ein Grundrecht bleiben.

Wie kann Hilfe zur Selbsthilfe erfolgreich funktionieren?
Basis zur Selbsthilfe ist Bildung und Wissen, gefolgt von der Bereitstellung der grundlegenden Ressourcen. Gerade in schwierigen Zeiten ist ein Mehr an Solidarität notwendig. Es ist unverständlich, dass die andauernde Wirtschaftskrise als Argument für eine völlig unzureichend budgetierte Entwicklungszusammenarbeit verwendet wird. Bei der Entwicklungshilfe geht es um Menschenleben. Ein nach wie vor reiches Land wie Österreich darf solidarische Maßnahmen nicht als lästige Almosen verstehen.

Was sind Ihre persönlichen Lieblingssendungen im TV?
???? – (Da blieb auf die Frage wohl die Antwort offen … Anm. der Red.)

Der TVButler dankt für das Gespräch!

Laut Wikipedia: Josef Weidenholzer (* 6. März 1950 in St. Florian am Inn) ist ein österreichischer Soziologe und Politiker (SPÖ). Er ist seit der 7. Wahlperiode Mitglied des Europäischen Parlaments, seit dem 6. Juli 2015 Vize-Vorstand der S&D-Delegation und ist von 1991 bis 2015 Präsident der Volkshilfe Österreich.