Martin Gastinger, ATV-Chef, im Interview
Die Sternwarte Urania – da wo auch der Kasperl Zuhause ist. Der Weg über die Brücke, vom Zentrum in den 2. Bezirk. Aspernbrückengasse. Die Heimat vom ATV und ATV 2 und möglicherweise ATV 3 und ATV 4.
Zweiter Stock: Empfang. Kurzes Warten, guter Kaffee und dann: the Boss – und dann zum Kern.
ATV 2014 – und Martin Gastinger im Interview: „Wir haben's probiert, wir waren mutig und haben es schmerzlich abgehakt“ – „Wien – Tag & Nacht“ wollte einfach nicht funktionieren.
Warum ist Fernsehen trotz Internet nicht tot?
Ich glaube, dass Fernsehen auch in den nächsten 20 Jahren extrem wichtig ist. Fernsehen totzusagen, davon halte ich gar nix. Die Leute wollen bedient werden. Gebe ich im Internet eine Suchanfrage ein, bekomme ich eine Million Antworten. Das überfordert.
Was bedeutet das für den Konsumenten?
Der Zuschauer wendet sich an den Sender, das sehen wir ja ganz genau. Deshalb haben wir einen ausgeprägten Auftrag im Bereich Service. Das kann ein Internet-Portal nicht anbieten. Deshalb glaube ich Fernsehen totzusagen ist Schwachsinn.
Alles dreht sich um die Quote …
Im Endeffekt schon – und hier ist auch die Fernsehforschung gefordert. Es muss noch besser gemessen werden, man muss erfassen können, wer, was, wie sieht. Ich seh´s ja an meinen Kindern, die Tablets & Co. verwenden. Die bauen sich einen Hotspot auf und los geht’s. Das muss auch in die Messung einfließen.
Content ist King, seit Jahrzehnten wird's runtergebetet. Wie steht ATV dazu?
Wir haben sehr viele Neuerungen, gehen bei den Eigenproduktionen verstärkt in den Service-Bereich, greifen aber auch im Eventfernsehen ein. In den letzten Jahren hat ATV unglaublich viele Sendungen entwickelt, einige wie „Pfusch am Bau“, „Teenager werden Mütter“ oder „Schwer verliebt“ haben wir auch international verkauft. Bevor Sie nun auf „Wien – Tag & Nacht“ kommen – Sie können mir da ruhig vorwerfen was Sie wollen. Tatsache: Es war sehr mutig ein scripted-reality-Konzept auszuprobieren.
Was will der ATV-Seher sehen?
Wir stellen fest, dass Service-Sendungen der Hit sind, „Pfusch am Bau“, „Mein Recht“ etc. laufen mega-erfolgreich. Was machen wir? Exklusive Sendungen, die gut laufen. Und jetzt neu: „Mein Hausarzt“. Da tun sich Fragen auf, wie: „Warum sind meine Blutwerte schlecht?“, „Warum tut mir der Rücken weh?“, „Warum habe ich Haarausfall?“
Die Medizinschiene im Alltag, wer präsentiert's?
Wir haben den Dr. Ferstl gefunden, ein junger, ganz toller Arzt – so ein Format gibt’s in unseren Breitengraden noch nicht, das ist ganz neuartig.
Welche weiteren Formate sind bei ATV in Produktion?
Wir sind neben dem ORF die größten Auftraggeber für Produktionen. Montag bis Mittwoch bietet ATV fast ausschließlich Eigenproduktionen. Daneben haben wir die zweitgrößte News-Produktion, dann das Wetter und, und, und ...
Wie sieht der Rest der Woche aus?
Donnerstag bis Sonntag bieten wir internationale Serien und Spielfilme.
Herbst – der ATV-Neustart. Was steht an?
„So denkt Österreich“ – Das ist eine urwitzige Geschichte. Wir gehen von Haus zu Haus und fragen die Menschen, zum Beispiel, was sie von der Regierung halten. Sehr, sehr lustig und sehr unterhaltsam. Dem Volk aufs Maul geschaut – wir finden raus, wo der Schuh drückt. Weiters wird's einen Nachfolger für „Saturday Night Fever“ geben: „It's my Party“.
Was noch?
Mit „Generation Zukunft: krasse Teenager“ haben wir ein Langzeitprojekt vor uns, da begleiten wir 16- bis 19-jährige Teenager. Wir wollen hier die Verschiedenartigkeit der Jugendlichen und ihre Chancen abbilden. Dann die Polizei-Serie: „Wachzimmer Ottakring“. Plus der Polittalk „Klartext“ und das neue Format „Promiknast“. Das wird ganz groß und hier wird es auch interaktiv den Aufruf geben, wer geht in den Knast, wer wird Wächter. Zehn Tage live, vierundzwanzig Stunden, so das Ziel.
Und was noch noch?
Daneben internationale Serien wie „Downton Abbey“, „Criminal Minds“ oder „Hubert und Staller“, Filme wie „Iron Man 3“, „Der Hobbit: Eine unerwartete Reise“ und natürlich auch Live-Sport mit dem ÖFB-Cup.
Das Erfolgsgeheimnis von ATV?
Service-Schwerpunkte: Berater-Sendungen für den Zuschauer, weil es für den Konsumenten keine Führung gibt. Die Zuschauer sind führungslos. Weiters: Lokaler Content wird immer wichitger. Netflix fürchte ich nicht, Netflix ist ein Geschäftspartner. Die werden über kurz oder lang auch merken, dass sie für ihre Plattform lokalen Content brauchen – und den haben wir.
Wie schaut nun der durchschnittliche ATV-Seher aus?
Wir bewegen uns durchaus im Akademiker-Bereich. Auch der Hochgebildete will sich einfach mal unterhalten. Es geht ja nicht jeder mit der Zeit unterm Arm spazieren. Der RTL-Unterhaltungs-Chef wurde mal in einem Interview gefragt, ob er sich für „Ich bin ein Star“ schämen würde. Das hat er verneint und gesagt: 50 % aller Deutschen müssten dann Trotteln sein, denn so viele schauen das Programm. Der ATV-Zuschauer ist ein ganz normaler Zuschauer, vom Normalo bis zu Akademiker, einer, der halt gerne fernsieht ... Und der Erfolg gibt uns Recht: „Bauer sucht Frau“ – über 300.000 Zuschauer
Anfang des Jahres war „second screen“ in aller Munde. Jetzt ist es ruhiger geworden. Warum?
Natürlich sind für uns alle Möglichkeiten des Bespielens wichtig, wir bieten die erfolgreichste Privatsender-Mediathek des Landes an. Mit einer Online-Nutzungszeit mit durchschnittlich 18 Minuten – da gehören wir zu den stärksten Medien des Landes. Wir machen Fernsehen, wir leben vom Fernsehen. Das Internet ist aber eine wichtige Begleiterscheinung und da spielen wir mit ATV.at in der ersten Liga mit.
Die Zukunft des Fernsehen. In fünf Jahren, wie schaut sie aus?
Das Programm-Angebot ist gestiegen und wird weiter steigen. Jeder macht noch mehr Fernsehen. Alle machen es so. Alle 0,2- bis 0,5-Prozent-Sender naschen schon mit und alles geht gegen Richtung Öffentlich-Rechtlich.
Kommt es da zu einem Kannibalismus?
Größter Konkurrent ist natürlich der ORF, der mit seinen Werbeeinnahmen und Gebühren ein relativ leichtes Spiel hat. Weil er die meisten Rechte hat, weil er sich aussuchen kann, was er überträgt. Manche Rechte, die der ORF hat, gibt's ja gar nicht in einer Ausschreibung, wie etwa die Vierschanzen-Tournee.
Werbung macht ja jeder. Wie sehen Sie die Werbefenster der anderen Anbieter?
Da ist oft ein kompletter Etiketten-Schwindel. Da ist einfach nichts Originäres dran. Nur weil ich draufschreibe „Austria“ hat das mit Österreich noch nichts zu tun.
Noch zwei Fragen zum Schluss: Ihre ersten Fernsehhelden?
Ganz schwer zu sagen, kann mich nur schwer erinnern. Schwarz-Weiß, das weiß ich, vermutlich Kasperl oder Betthupferl …
Und wie sind Sie eigentlich zum Fernsehen gekommen?
Neben meinem Jus-Studium habe ich mich beim ORF schriftlich beworben und wurde aus 20.000 Einsendungen zum Bewerbungsgespräch geladen. Dann Radio: Ö3 und Ö1 – und irgendwann über X-Large zum Fernsehen gekommen.
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