Helene Jarmer im Interview!
Helene Jarmer ist Grüne, taub und Präsidentin des Gehörlosen-Verbandes. Im TVButler-Interview erklärt Sie, wofür sie kämpft und was ihr wichtig ist im Leben ohne Töne.
Frau Jarmer, Sie sind Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenverbandes. Was war Ihre Motivation, diesen Job zu machen?
Helene Jarmer: Ich wollte die Bildungssituation für diese Menschen verbessern und angehen. Personen und vor allem Kinder haben doch in diesen Einrichtungen das Recht auf ihre eigene Muttersprache. Das ist in diesem Fall die Gebärdensprache. Das war mein Anliegen. Bildung über alle Kassen gleich zu schaffen. Das war der Anfang.
Wie würden Sie ihren persönlichen Medienkonsum definieren?
Meinen Sie mein privates Interesse oder die berufliche Komponente?
Beides!
Privat, da schaue ich über die APA-Meldungen, welche Informationen ich bekomme. Auch über Bizeps. Aber ich bekomme auch ins Büro eine Vielzahl an Infos geschickt. Bildung, Kinder, Psychologie, Erziehung und Politik – das wird mir zugesandt – in Form von Printmedien.
Je nachdem wie ich Zeit habe, schau’ ich Fernsehen. Meist aber gar nicht. Auch mit meiner Tochter nicht. Dann kurz vielleicht beim Teletext. Beruflich – ganz klar – ist der Konsum von Zeitungen, Pressekonferenzen, dem Internet das Interesse gewidmet.
Wenn Sie das Internet nutzen, auf welche Barrieren stoßen Sie da?
Zum Beispiel die Filme auf YouTube, die haben keine Untertitel. Das fehlt mir. Im Radio natürlich – da gibt es einzelne Sender, die eine Transkription anbieten. Ich nutze dieses Medium aber sehr selten. Ich bin gewohnt, mit dem Internet umzugehen – und habe so eigentlich keine Barrieren.
Ich weiß, dass hörende Menschen sich sehr angenehm Informationen übers Radio holen, während der Arbeit, während des Autofahrens, das fällt hier natürlich weg. Man muss sich die Zeit nehmen um an Informationen zu kommen. Das geht einfach nicht so nebenbei.
Es gibt die Aussage, dass Menschen mit Behinderungen und sozial Schwache einen erschwerten Weg zum Internet haben. Da gibt es dieses Schlagwort des „digital divide" – wie sehen Sie das Problem?
Es gibt verschiedene Punkte zum Problem der Barrierefreiheit. Es gibt ja unterschiedliche Bedürfnisse zum Zugang zum Internet. Blinde zum Beispiel gehen da anders um als Gehörlose oder körperbehinderte Menschen. Ich glaube, dass man sich nicht an alle Bedürfnisse optimal anpassen kann. Mittlerweile ist zwar ein guter Weg eingeschlagen, aber es gibt ja verschiedene Abstufungen zum Thema Barrierefreiheit. Aber Gebärdensprache oder „Leichter Lesen“ ist da nicht explizit angeführt.
Der Gehörhosenbund hat mit einigen Ministerien Kontakte geknüpft, wo einige Texte in Gebärdensprache übersetzt wurden – und die werden dann auch mit Ton und Untertiteln ausgestattet. Es ist eine gute Möglichkeit, wie man vielen Menschen einen Zugang erleichtern kann. Man braucht sehr viel Erfahrungen von den Betroffenen. Es gibt dennoch viele Felder, die zu bearbeiten sind. Es gibt zum Beispiel in Endland eine Bank, Barclays, die sind mustergültig. Die haben wirklich versucht alle Barrieren aus dem Weg zu räumen. Auf privater Ebene kann das schon ganz gut funktionieren. Auf staatlicher Ebene gibt es allerdings noch viele Lücken.
Frau Jarmer, wie schaut Barrierefreiheit bei uns aus?
Zufrieden mit dem ORF?
Beim ORF zum Beispiel hat sich der Service mit Untertitel stark verbessert, auch die Audiodeskription hat stark zugenommen, aber es gibt noch nicht eine „Leichter Lesen“-Version mit einfacheren Untertiteln. Hier gibt es noch viel, was verbessert werden könnte. So auch bei den Wahlen, hier gibt's viele Punkte.
Die WAI-Richtlinien sind ja in Europa Gesetz. Wo steht Österreich da?
Ich habe mich in verschiedenen Workshops mit diesem Thema beschäftigt. Österreich hinkt da schon noch hinter her. Zum Beispiel wird Gebärdensprache – empfohlen und nicht als verpflichtend angesehen. In Österreich muss man wirklich Gesetze anordnen, sonst passiert da gar nichts. Auch die budgetäre Lage ist bei uns sehr schlecht, da kommt man nicht wirklich weiter. Auch, dass Barrierefreiheit nicht nur mit räumlichen Zusammenhängen zu tun hat, dies ist in vielen Köpfen noch nicht angekommen. Auch im Schulbereich gibt es diesbezüglich noch viel zu wenig Überlegungen in diese Richtung.
Wie viele Menschen in Österreich sind mit dem Problem gehörlos bzw. gehörbehindert konfrontiert?
Fast eine halbe Million, aber es gibt auch noch Menschen, die unter altersbedingte Schwerhörigkeit fallen. Aber wirklich Gehörlose und die, die auch Gebärdensprache verwenden, sind ca. 10.000 Personen.
Frau Jarmer, was kann getan werden?
Wie kann aus Ihrer Sicht Hilfe zur Selbsthilfe funktionieren?
Die UN-Konvention sagt, dass behinderte Mensch ein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben. Und wie kann man diesen Punkt erreichen? Jeder braucht die Wahlfreiheit, die Möglichkeit, wählen zu können. Nur das ist in den Köpfen der Österreicher noch nicht wirklich angekommen. Man muss sich immer wieder den Diskussionen stellen. Inklusion ist ein Thema, da kann man noch stundenlang diskutieren. Die Menschen brauchen da noch ganz viel Zeit.
Neue Medien. Was wünschen Sie sich?
Gehörlose wünschen sich immer eine eigene Sendung. Wir haben bei uns ein Studio eingerichtet, das heißt „Gebärdenwelt" und da sind wir daran, dass dieser Bereich mit aktuellen Meldungen versehen wird – und in Gebärdensprache ausgestrahlt wird. Der Bereich Kinder ist noch im Wachsen. In den Zeitungen findet man nur ganz selten Themen über gehörlose Menschen. Aber zwei Themen sind mir ganz wichtig: die Stärkung der Gehörlosen-Community in Österreich, die derzeit recht schwach vertreten ist – und zweitens mangelt es uns im Gegensatz zu Amerika an Vorbildern. Bei uns werden viele Informationen in Text verarbeitet, nur die Texte sind sehr lang und so für die Community nur sehr schwer zu verstehen. Schwerhörige Menschen haben oft nur eine sehr schwache Deutsch-Kompetenz und können so die Texte nur sehr schwer verarbeiten. In Schweden zum Beispiel gibt es tagtäglich um 18.00 Uhr eine zehnminütige Sendung in Gebärdensprache, die über das aktuelle Tagesgeschehen berichtet.
Der TVButler hat deaf.tvbutler 2014 gelauncht. Eine Sammlung rund um Sendungen aus Deutschland, Österreich un der Schweiz. Das wird sehr gut angenommen. Übersetzt man das Wort deaf und sagt taub so gilt es bei uns als Fauxpas. Was ist wirklich schlimm daran?
Taub ist für mich nicht schlimm. Überhaupt nicht. Es ist absolut verwendbar. Das Wort taub wird in vielen Ländern in Europa verwendet. In Österreich sagt man für die Zielgruppe gehörlos. Ich vom Gehörlosenbund wehre mich nicht gegen das Wort taub. Das Wort Gehörlos ist ja auch nicht immer positiv besetzt. „Los“ heißt ja, es ist ein Defizit und es fehlt etwas. Da ist taub im Vergleich zu gehörlos schon ein positiver Begriff. Taub ist auch ein klarer Begriff, das versteht man eher auf der Straße.
Zurück in die Kindheit, Ihre Lieblingssendungen?
Ja, ich habe ferngeschaut, allerdings ohne Untertitel, Biene Maja, Heidi und vieles mehr. Wenn ich mir jetzt denke, was ich alles angeschaut habe, ist mir das jetzt ein Rätsel. Meine Mutter hat mir auch nichts erklären können, die war ja auch gehörlos und hat auch nichts verstanden. Man hat einfach nur Bilder angeschaut, ohne jegliche Information. 1985 oder 1986 hat man begonnen zu untertiteln. Ich glaube die erste Sendung war „Wir", dann ist der „Tatort" dazu gekommen. „Wir" war wirklich ein Meilenstein, denn da hat man wirklich ein bisschen was verstehen können. Wenn man fernsieht und nur die Bilder sieht, wir haben's nicht verstanden. Warum der Film so ein Ende nimmt – wir wussten es einfach nicht. Heute ist ein Film ohne Untertitel eine totale Zeitverschwendung. Derzeit ist auf meine Initiative der ORF so weit, dass ca. 70 Prozent aller Sendungen untertitelt werden.
Ihr beruflicher Werdegang?
Ich habe zwei Studien abgeschlossen, Lehramt und Bildnerische Erziehung. Und auf der Uni Wien Pädagogik und Psychotherapie. Aber jetzt würde ich dies nicht noch einmal machen.
Der TVButler bedankt sich für das Gespräch!