Dr. Markus Wolf, Chef des Blinden- und Sehbehindertenverband Österreichs über Barrieren, Fernsehen, Smartphones und Luftdruckgewehr-Schießen.
>> Seit Monaten hören und lesen wir, dass ab 1. Jänner 2016 alle Barrieren beseitigt sein müssen. Diese Forderung ist nicht neu! Die Wirtschaft hat zehn Jahre Zeit gehabt die notwendigen Maßnahmen umzusetzen. Und dennoch wird Anfang 2016 diese gesetzliche Forderung noch immer nicht erfüllt sein. „Das Bewusstsein für die Anforderungen blinder und sehbehinderter Menschen in Zusammenhang mit barrierefreier Gestaltung ist oft noch nicht ausreichend vorhanden", so Dr. Markus Wolf, Vorsitzender des Komitees für Mobilität sehbeeinträchtigter Menschen Österreichs (KMS). „Oft wird bei Barrierefreiheit nur an Stufenlosigkeit gedacht. Aber auch Menschen mit Sehbehinderungen und blinde Menschen sind auf eine Reihe baulicher und gestalterischer Voraussetzungen angewiesen.">>
Zitat aus Blinden und Sehbehindertenverband Österreich.
Der TVButler bat den Herrn Präsidenten Dr. Markus Wolf zum Interview
Wie würden Sie Ihren Medienkonsum beschreiben?
Meinen eigenen Medienkonsum – hauptsächlich elektronisch. Die Informationen, die eigentlich in Print-Versionen vorhanden sind, sind für mich fast nur elektronisch vorhanden. Kurz zu meiner Information: Ich bin vollblind. Lese entweder mit einem Computer oder Braille.
Ich muss sagen, dass auch in den Industriestaaten derzeit nur ca. 5. Prozent der Literatur für behinderte Menschen zugänglich ist. Und davon wieder ein kleiner Teil in Braille. Kommt man jetzt wieder zu den „richtigen" Informationsmedien, Tageszeitungen oder Wochenmagazinen, mir ist überhaupt nicht bekannt, dass da eines in Braille verfügbar wäre. Das heisst, wir lesen die Sachen einfach online. Kurz mit Sprachausgabe oder mit Braille-Unterstüztung.
Wo stoßen Sie bei Internet an Barrieren?
Das hängt von der Webseite ab ... Es gibt schon gute Seite, die klar und intuitiv strukturiert sind, erstens, und da muss ich jetzt als Präsident sprechen, erstens eine Seite, die eine gute Struktur hat, wo alles gut navigierbar ist, mit Sprachausgabe und Streamreader, wo Bilder beschrieben sind, wo auch ein guter Kontrast vorhanden ist. Es gibt ja auch genug Menschen, die gröbere Sehschwächen haben und noch nicht mit einem Screenreader hauptsächlich arbeiten müssen.
Es besteht die Gefahr, dass Menschen, die nicht sozial so integriert sind, vom Internet ausgeschlossen sein könnten, man nennt das digital divide ...
Digitale Divide ist ein Begriff, denn wir schon länger kennen. Ich denke mir es geht da um sozial benachteiligte Personen, mit sozial schlechteren Bildungsstand und somit auch zu benachteiligten Technologien. Wenn ich heute nicht mit dem Internet umgehen kann, dann verliere ich doch einen gewichtigen Teil meiner Kommunikation. Es gibt einfach Personen, die den Zugang, was Steuererklärungen oder sonstiges betrifft, die einfach nicht Internet-fit sind, die haben große Probleme. Zum Glück wird das immer weniger, aber es ist trotzdem eine Geldausgabe. So gesehen haben sozial sachwache Personen da schon eine Hürde.
Wie steht es mit der Audiodeskription, gibt es da neue Angebote:
Ich nutze die, ich schaue sie mir gerne an, schau, wie sie funktionieren, ich komme aber selten dazu sie privat zu nutzen. Ich finde es dennoch als ein tolle Sache.
Was würden Sie sich im Bereich neue Medien besonders wünschen?
Dass die Barrierefreiheit, dass der Zugang für alle Menschen von Anfang an immer mitgedacht wird. Es gibt Firmen, die gleich beim Smartfon denken, wem es nützen könnte. Die den Screenreader gleich integriert haben. Ich kann da den Kontrast ändern und auch andere features, die mir sehr vernünftig erscheinen. Es gibt aber auch genug Websites, die sind einfach schwer bedienbar.
Barrierefreiheit heißt auch von Anfang an mitdenken!
Eva Papst, eine Vorreiterin in Sachen Barrierfreiheit, hat vor Jahren einen Vortrag gehalten, wie geil eigentlich ein Smartfon sein kann. Nur Glas und Metall. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Ich habe dies noch nie so beschrieben gehört, aber ich kann dem durchaus etwas abgewinnen. Der Umstieg auf das I-Phone war durchaus etwas Herausforderndes. Ich war auch zwei Wochen nicht wirklich erreichbar. Letztlich hat es sich aber gelohnt.
Viele öffentlich-rechtliche TV-Sender müssen barrierefreie Informationen anbieten, andere schrauben sich da raus, ist das fair?
Ich denke, wenn man den barrierefreien Zugang gleich von Anfang an mitdenkt und mitplant, dann sind die Mehrkosten so gut wie null. Und das ist keine Übertreibung. Die Nachbearbeitung ist eher das, was teuer ist. Der Abbau von Barrieren ist immer teurer als die Planung ohne Barrieren.
Ich glaube unter den Blinden und stark sehbehinderten Menschen ist Audiodeskriptiom das, was in Sachen Film den Zugang erst ermöglicht. Von der Sit-Com, wo der Dialog im Vordergrundg steht, bis hin zum Stummfilm oder den dialogarmen Western ... Audiodeskription beschreibt oft für den Menschen, was den Film sinnvoll macht ... nämlich das, was zwischen den Dialogen passiert. Ich weiß, dass unsere Mitglieder das sehr wohl nutzen und einen Ausbau fordern.
Wie und was schaut ein blinder Mensch im TV?
Was schauen Sie am Liebsten:
Ernstere Filme, Info-Sendungen, Nachrichten und Fokus und manche Sportarten. Weniger Komödien.
Wie viele Mitglieder zählt Ihr Verband?
Ca. 318.000 aus dem Jahr 2008, davon ungefähr 3.000 blind, 101.000 stark sehbehindert.
Was bedeutet für Sie sehbehindert?
Laut Definition, wenn man nur einen Sehwert zwischen 20 und 30 Prozent hat.
Wie geht Hilfe zur Selbsthilfe?
Einerseits, wenn die betreffende Person eingebunden wird in alle Prozesse, die sie betreffen.
Das andere ist einfach die Eingliederung in einen Verein, einen Verband, wo es Betroffene gibt und durch das Gemeinsame findet man Wege ... Die Hilfe zur Selbsthilfe heißt einfach den Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen und auch zu schauen, ob auch Hilfe für andere da ist.
Was halten Sie von blinden Richtern?
Die gibt's, seit Jänner 2012, zwei blinde Personen sind tätig ... einer in Wien und einer in Oberösterreich.
Wie stehen Sie persönlich zum neuen Blinden-Kult Luftdruckgewehrschießen?
Ich habe es selber noch nicht ausprobiert, aber es geht auf Hören. Das heißt, durch Töne wird das Zielen rmöglicht. Bin aber noch nie dabei gewesen.
Sie selbst sind blind …
Ja, zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr war meine Sehkompetenz gegen 10 Prozent vorhanden, dann ging es gegen null.
Der TVButler dankt für das Gespräch!