Bernd Rehling – Chef des barrierefreien „Taubenschlag“ im TVButler-Interview. 2016 steht ganz im Zeichen der Inklusion. Was der Boss des größten Gehörlosen-Portals Deutschlands zu sagen hat – hier erfahren Sie es!
Du bist verantwortlich für den größten privaten deutschen Internet-Dienst im Bereich hörbehinderte und gehörlose Menschen. Was war deine Motivation zu diesem Schritt?
Ich war schon immer ein Medienfreak. Aber als das Internet aufkam, sah ich die immensen Chancen für Hörgeschädigte, was Kommunikation, Bildung und soziale Kontakte betrifft.
In welchen Bereichen wird Hilfe am meisten benötigt, wo kann der Taubenschlag erfolgreich helfen?
Der Taubenschlag kann Informationen von und für Hörgeschädigte schnell übermitteln. Er kann sich aber auch mit publizistischen Mitteln für die Rechte der Hörgeschädigten und gegen Diskriminierungen einsetzen.
Wie würdest du deinen persönlichen Medienkonsum beschreiben, und welche Rolle spielt Medienpolitik ganz allgemein im Rahmen des Taubenschlags?
Durch den Taubenschlag verbringe ich täglich einige Stunden am Rechner und im Internet, allerdings weniger als Konsument als in einer aktiven Rolle. Fernsehen konsumiere ich gezielt, d.h. ich durchforste regelmäßig die Programmzeitschrift und nehme auf, was ich gerne sehen möchte. Da kommen Unmengen an guten Filmen und Dokus zusammen. Und ich sehe werbefrei! So entsteht bei mir der Eindruck: Fernsehen ist Klasse! Wenn ich allerdings einmal das laufende Programm durchzappe, denke ich: Was für ein Schrott!
Für mich ist das WIE des Fernsehens von entscheidender Bedeutung!
Für mich als Schwerhörigen ist das WIE des Fernsehens von entscheidender Bedeutung. Ich nutze natürlich Untertitel - von denen übrigens auch meine Frau als Normalhörende oft profitiert, wenn z.B. Dialekt gesprochen wird oder fremdsprachige Songtexte angezeigt werden. Früher habe ich zusätzlich Kopfhörer benutzt. Seit kurzem besitze und nutze ich aber Hörgeräte, die per Bluetooth das Signal empfangen und per App auf dem iPhone gesteuert werden. Da kann ich gleichzeitig Fernsehton in Superqualität hören und mich mit meiner Frau unterhalten. Das ist natürlich ein Superluxus, der seinen Preis hat.
Für den „Taubenschlag“ durchsuche ich das Fernsehprogramm nach Sendungen, die irgendwie mit Hörschädigung zu tun haben, ob nun Spielfilme, in denen ein Gehörloser auftritt, oder Dokus.
Die Medienpolitik kommt im „Taubenschlag“ immer dann ins Spiel, wenn Hörgeschädigte in den Medien zu kurz kommen, mit zu wenig Untertiteln oder Dolmetschereinblendungen. Da kann der „Taubenschlag“ dann schon mal „auf die Barrikaden gehen“. Beispiel: PHOENIX wollte die Dolmetschereinbelndungen abschaffen. Ein Sturm der Entrüstung – und dabei hat der Taubenschlag mitgestürmt – hat das verhindert. Es kommt aber auch vor, dass Hörgeschädigte in den Medien falsch dargestellt werden. Da können wir im Taubenschlag dann einiges klarstellen.
Welche Rolle spielt für dich das Internet?
Welche Rolle spielt für dich das Internet - und gibt es da Barrieren, an die du noch immer stößt?
Das Internet ist mittlerweile zum wichtigsten Medium geworden. Barrieren gibt es für mich persönlich nicht.
Welche gesetzlichen Barrieren gehören deiner Meinung nach in Sachen barrierefreies Internet noch umgesetzt?
Filmproduktionen in Deutschland werden mittlerweile nur dann subventioniert, wenn sie barrierefrei produziert werden, also mit Untertiteln und Audiodeskription. Das ist schon mal ein guter erster Schritt. Ich denke, der Gesetzgeber müsste noch weitergehen und grundsätzlich für jede Filmproduktion eine solche Barrierefreiheit vorschreiben. Also Barrieren für nicht barrierefreie Medien! ;-) Ähnliches müsste auch im Internet gelten. Darüber hinaus gibt es natürlich Anforderungen für die Gestaltung von Internetseiten, die andere Behinderungen betreffen.
Es besteht die Gefahr, sozial benachteiligte Personen und Menschen mit Behinderung von den neuen Medien und Technologien auszuschließen. Dieses Phänomen ist unter dem Ausdruck „Digital Divide“ bekannt? Wie siehst du das Problem?
Nun ja, nicht jeder kann sich eine Luxus-AppleWatch leisten. Aber was vor wenigen Jahren noch als Luxus galt, Internetzugang, Smartphones usw., das gehört heute eher zur Grundausstattung für jedermann. Die Gefahr des Ausschließens halte ich nicht für gravierend. Es geht wohl eher darum, ob man sich die "Karo-Einfach-" oder die Luxusvariante leisten kann - wie in allen anderen Lebensbereichen.
Auf EU-Ebene gibt es die Verpflichtung die WAI-Leitlinien umzusetzen. Dies bedeutet, dass entsprechende Mindeststandards erfüllt werden müssen. Ist das auch in der Realität so?
Ich fürchte, die Realität hinkt hinter den Leitlinien her. Aber man muss schon wissen, wo es längs geht. Auch hier gilt die alte Parole: „Wenn man nicht weiß, wo man hin will, muss man sich nicht wundern, wenn man ganz woanders ankommt.“ :-)
In Europa gibt es nach EU-Schätzung rund 80 Mio. Menschen mit Behinderungen. Ist die Tendenz steigend? Und wenn ja, wie kann das alles barrierefrei umgesetzt werden?
Solche Tendenzen kann ich nicht einschätzen. Wenn ich medizinische und technische Fortschritte sehe, zweifle ich doch an der steigenden Tendenz. "Mongölchen" gibt es kaum noch, und im Gehörlosenbereich kaum noch Kinder ohne CI. Umso größer ist die Gefahr, dass Politiker den Rotstift im Behindertenbereich ansetzen. Eine schrumpfende Minderheit kann sich kaum noch zur Wehr setzen.
Was würdest du dir wünschen?
Was würdest du dir im Bereich neue Medien besonders wünschen?
Ich persönlich bedaure immer noch, dass kommerzielle Sender zugelassen worden sind. Die könnten meinetwegen samt und sonders wieder abgeschafft werden. Aber RTL und Konsorten wird man nicht wieder los, genauso wie die BILD-Zeitung. Der Publikumsgeschmack entscheidet halt. "Leute, fresst Scheiße, Millionen Fliegen können sich nicht irren!" :-) Da gehöre ich dann doch lieber zu einer Minderheit.
Was das Internet betrifft habe ich als Landei einen ganz banalen Wunsch: Einen schnellen Anschluss mit Flatrate. Eigentlich ganz bescheiden, oder?
Vorletzte Frage: Wie kann Hilfe zur Selbsthilfe erfolgreich funktionieren?
Meinst du im Behindertenbereich? Das kann ich generell nicht beantworten. Aber um auf mein Lieblingsthema zu kommen, den Hörgeschädigtenbereich: durch Bildung! Es ist noch gar nicht so lange her, dass Gehörlose behindert wurden durch die Erwartungshaltung, dass ihre Bildungsmöglichkeiten beschränkt seien. Beruflich ging es über Handwerkliches nicht hinaus. Gehörlose Akademiker waren unvorstellbar. Inzwischen gibt es sie, und gehörlose Lehrer vermitteln ihren Schülern nicht mehr das „can't syndrome“. Es müssten aber noch viel mehr werden!
Deine persönlichen Lieblingssendungen im TV? Da gibt es die Klassiker wie „Manche mögen's heiß“, „Frauenarzt Dr. Prätorius“ oder die „"Feuerzangenbowle“, die kann ich mir immer wieder ansehen. Junge Leute kennen die wohl kaum noch. Aber auch für „Rache-Schinken“ à la „The Tank“ oder „Convoy“ kann ich mich begeistern.
Im Kino hat mich „Honig im Kopf“ fasziniert – mit Untertiteln von „Greta und Starks“ auf dem iPad! Ansonsten sehe ich gerne Dokus aus Reihen wie „37°“ oder „Menschen hautnah“. Und last but not least sehen meine Frau und ich gerne Reiseberichte wie „Wunderschön“. Womit wir sicher beim Seniorenprogramm angekommen sind. ;-)
Vielen Dank fürs Gespräch!