Punkt eins Strafe muss sein?
Do, 05.12. | 13:00-13:55 | Ö1
„Wenig Pädagogen haben so viele Wunder der Erziehung erzielt als der Heilige Nikolaus oder vielleicht nur sein getreuer Begleiter, der Knecht Ruprecht, in Österreich ,Krampus’ genannt, die freilich beide den ,Edukationsbesen’ zur Seite führen“, konstatierte der Volkskundler Gustav Gugitz 1907. Wenn derzeit wieder Krampus, Teifl und Passen durch die Straßen jagen und mit ihren Ketten rasseln, lebt der Kinderschreck in allen Altersgruppen auf: Wenn du nicht brav bist, holt dich der Krampus. Wenn du nicht brav bist, weil du nicht brav warst: Handyentzug, Tabletverbot, kein Taschengeld. In der Ecke stehen, Strafarbeit, Hausarrest. Eine Ohrfeige, stille Verachtung, Gehässigkeit, Beschimpfungen und Drohungen. Seit den Anfängen kindlicher Erziehung geht es um die Herstellung des „normalen“, des angepassten, des schönen, des nützlichen Kindes, liest man in dem Buch „Das ,normale’ Kind. Einblicke in die Geschichte der schwarzen Pädagogik“ von Sabine Seichter, Universitätsprofessorin für Erziehungswissenschaft an der Paris Lodron Universität Salzburg. Strafe muss sein, weiß der Volksmund, und sie muss weh tun, denn wer nicht hören will, muss fühlen. Über Jahrhunderte waren Strafen gängige Erziehungsmittel, ob im Elternhaus oder in der Schule; erst seit 35 Jahren – seit 1989 – gilt das absolute Gewaltverbot in der Erziehung. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist heute klar belegt, dass Strafen keine wirkungsvollen Maßnahmen sind, weder, um Verhalten langfristig zu beeinflussen, noch im Sinne der Prävention von Straftaten, und schon gar nicht im Sinne einer Beziehung und „Erziehung“, schließlich lehren Strafen in erster Linie: Drohungen, Gewalt, Leid sind angemessen, wenn ich meinen Willen durchsetzen will. Selbst für das Strafrecht – mit der Freiheitsstrafe die härteste mögliche Sanktion einer Gesellschaft – gilt als erwiesen: es wirkt nicht so verhaltenssteuernd, wie man sich das vorstellt, Stichwort: Abschreckung und doch wird der Ruf nach härteren Strafen regelmäßig laut. In jüngster Zeit wird immer wieder politisch über eine Senkung des Strafalters auf unter 14 Jahre diskutiert; Expert:innen lehnen das klar ab. Genauso klar ist: eine moderne Gesellschaft ohne das ordnende Strafrecht existiert nicht. Nicht schlagen, nicht schimpfen, nicht schreien? Wie kann man ohne drohen und strafen Verhaltensregeln vermitteln, Grenzen setzen und dafür sorgen, dass Verbote respektiert werden? Wie soll man jungen Menschen begegnen, die Taten begehen, die strafbar sind, die aber als Minderjährige unter 14 als nicht deliktfähig gelten? Was bewirken Geld- und Freiheitsstrafen, was der Tatausgleich, die gemeinnützige Arbeit? Wie geht es besser, wenn zwischen der Theorie – Strafe wird abgelehnt – und der Praxis – Strafen sind alltäglich – eine klare Diskrepanz besteht, und zwar auch in Kindergarten und Schule? Welche Rolle spielen Gerechtigkeit und Rache, die Lust am Strafen, Fragen von Schuld und Möglichkeiten der Wiedergutmachung? Simone Meidl-Düringer ist studierte Soziologin, hat als Bewährungshelferin gearbeitet und leitet NEUSTART Salzburg. In Salzburg bietet der Verein für Bewährungshilfe, Konfliktregelung und soziale Arbeit unter anderem auch Präventionsarbeit in der Schule an. Über den Krampus, die „Konsequenzen“, Ziele und Wirkungen von Strafen und das Menschenbild in Theorie und Praxis sprechen Sabine Seichter und Simone Meidl-Düringer als Gäste bei Barbara Zeithammer und wie immer sind Sie herzlich eingeladen, sich mit Ihren Fragen und Gedanken, mit eigenen Erfahrungen zum Thema zu beteiligen. Diskutieren Sie mit, rufen Sie an unter 0800 22 69 79 (kostenfrei innerhalb von Österreich) oder schreiben Sie ein E-Mail an punkteins(at)orf.at
in Outlook/iCal importieren