Auschwitz vor Gericht Film von Rolf Bickel und Dietrich Wagner

Mi, 29.05.  |  21:00-21:45  |  3sat
Untertitel/VT  Länge: 45 Min.

Am 20. Dezember 1963 begann in Frankfurt das bedeutendste und größte Gerichtsverfahren der deutschen Rechtsgeschichte: der Frankfurter Auschwitzprozess.

Die Dokumentation folgt äußerlich dem historischen Ablauf des ersten Prozesses und konzentriert sich dabei auf die Hauptakteure: Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der das Verfahren ins Rollen brachte, die Staatsanwälte Kügler und Wiese sowie die SS-Männer.

700 Seiten umfasste die in über fünf Jahren erarbeitete Anklageschrift. Sie richtete sich gegen 21 Angehörige der Waffen-SS, alle waren Personal des Konzentrationslagers Auschwitz und mussten sich wegen Mordes "in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen" verantworten. An 183 Verhandlungstagen wurden 359 Zeugen gehört, darunter 248 Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz, die nach Frankfurt gereist waren, um unter Eid Zeugnis abzulegen.

Unweigerlich muss der Zuschauer den Blick immer wieder nach Auschwitz richten. Denn wie im Prozess sind es die Aussagen der Überlebenden, die auch diese Dokumentation zu einem unabweisbaren und eindrucksvollen Zeugnis für die Verbrechen der Nationalsozialisten machen: Hermann Langbein, Rudolf Vrba, Mauritius Berner, Jenny Schaner und Yehuda Bacon gingen vor die Kamera. Yehuda Bacon war noch ein Kind, als er Holz in die Verbrennungsöfen schleppen, menschliche Asche auf vereiste Wege streuen und zusehen musste, wie die Körper der Ermordeten aus den Gaskammern gezerrt wurden.

Darüber hinaus greifen die Filmemacher Rolf Bickel und Dietrich Wagner zurück auf die 1992 von ihnen aufgespürten und über 500 Stunden umfassenden Tonbandprotokolle des Prozesses. Diese waren, einmalig in der deutschen Justizgeschichte, wegen des großen Zeugenaufgebots eigens vom Bundesgerichtshof genehmigt worden. Allerdings nur unter der Bedingung, dass sie nach der Urteilsverkündung wieder gelöscht werden. Sie blieben jedoch auf Anweisung des hessischen Justizministers erhalten und sind heute zum unverzichtbaren historischen Forschungsmaterial geworden.

Nach Jahren des öffentlichen Verschweigens konfrontierte dieser Prozess die Deutschen und die Welt zum ersten Mal mit allen Einzelheiten des Völkermords an den europäischen Juden. Als am 20. August 1965 das Urteil gesprochen wurde, sagte der Vorsitzende Richter Hans Hofmeyer in seinem Schlusswort: "20 Monate lang haben wir im Geiste nochmals alle Leiden und all die Qualen erlebt, die die Menschen dort erlitten haben und die mit Auschwitz immer verbunden bleiben." Hermann Langbein, Gefangener in Auschwitz und Zeuge vor Gericht, erklärte, der Prozess habe wesentlich dazu beigetragen, "der Öffentlichkeit unanfechtbare Tatsachen über einen Abschnitt der deutschen Geschichte zu vermitteln, der bis dahin für allzu viele im Dunkeln lag."

Dass die Mörder von Auschwitz erst 18 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers angeklagt werden konnten, zeigt, wie schwierig es war, überhaupt über Auschwitz Gericht zu halten. Dass es schließlich doch dazu kam, ist vor allem dem damaligen hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer zu verdanken, der im Nachkriegsdeutschland einer der wenigen entschlossen handelnden Verfolger der NS-Verbrechen war.

Doch auch 50 Jahre nach Eröffnung des historischen Prozesses sind unzählige Verbrechen von Auschwitz noch immer ungesühnt, Tausende Mitglieder von KZ-Wachmannschaften kamen ungestraft davon. Aber es wurden auch weitere Prozesse angestrengt: Die Vorermittlungen gegen 30 ehemalige Auschwitz-Wächter wurden abgeschlossen. Der älteste Beschuldigte ist 97 Jahre alt.



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