Leben nach dem Missbrauch Film von Nathalie Suthor
Dass christliche Institutionen auch Orte sexualisierter Gewalt sind, ist schon länger bekannt. Wie geht die evangelische Kirche mit den Betroffenen um?
Im Januar 2024 wurde eine Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) und der Diakonie vom unabhängigen Forschungsverbund ForuM vorgestellt. Die Studie geht aktuell von rund 2225 Fällen aus.
Stimmen diese Zahlen?
Nach einer Schätzung der Forscher liegt die tatsächliche Zahl der Betroffenen jedoch deutlich höher. Ein Grund dafür: Nicht alle Landeskirchen haben vollumfänglich die geforderten Daten offengelegt. Für die Betroffenen ein Affront. Wie könnte eine für die Betroffenen gute Lösung aussehen? Was sagt die Kirche?
Nancy Janz (44) hat als junge Frau sexuelle Übergriffe und Missbrauch in einer diakonischen Einrichtung durch einen evangelischen Jugendpastor in Niedersachsen erlebt. Das, nachdem sie schon in ihrer eigenen Familie sexualisierte Gewalt erfahren hat. "Ich war allein, haltlos, ohne Anbindung und psychisch instabil, als er mir seine Hilfe anbot." Nancy wendet sich von der Kirche ab. Doch dann kam die Wut. Inzwischen ist sie Sprecherin der Betroffenen im Beteiligtenforum der EKD. Für sie ist trotz ihrer schrecklichen Erlebnisse die Kirche immer noch ein gesellschaftlicher Ort, der viel Positives hat.
Anselm Kohn (54) und seine älteren Brüder wurden als Jugendliche von dem Stiefvater, einem Ahrensburger Pastor, belästigt und missbraucht. Dieser Täter suchte sich aber seine Opfer nicht nur unter den fünf Stiefkindern, sondern auch unter anderen jugendlichen Personen im Umfeld der Gemeinde und das über Jahre. Anselm Kohn und sein ältester Bruder Stephan haben mit anderen Betroffenen viel Aufmerksamkeit für ihre Sache erreicht. Es gab Mahnwachen, einen Verein und mediale Aktivitäten, immer mit dem Ziel, den Fall aufzuarbeiten und die Verantwortlichen, die den Täter jahrelang haben gewähren lassen, zur Verantwortung zu ziehen. Kohn sitzt zu Hause auf einem Berg von Unterlagen auch zu anderen Fällen, die das ganze Ausmaß des Missbrauchs verdeutlichen.
Markus Klaaßen (49) wuchs in sozial schwachen Verhältnissen am Rande von Gelsenkirchen auf. Seine Kindheit zu Hause war von Gewalt, Missachtung und Süchten der Eltern geprägt. Nachdem sein Stiefvater in Haft kam, bat seine Mutter den evangelischen Pfarrer vor Ort um finanzielle Unterstützung. Der Pfarrer gewährte dies, aber mit der Bitte, dass der kleine Markus dann auch konfirmiert wird. Als es dann soweit war, sedierte der Pfarrer den Jungen, um ihn sexuell zu missbrauchen. Hochgradig traumatisiert, verdrängte er die Missbrauchsvorfälle komplett. Sie verschwanden aus seinem Bewusstsein.
Viele Jahre später stellte Markus Klaaßen Strafanzeige und wandte sich an die Kirche. Nach einem mühsamen Prozess und einem Strafverfahren, das wegen Verjährung eingestellt wurde, erhielt er 35.000 Euro für die Anerkennung des Leids von der evangelischen Kirche im Rheinland. Der Täter verweigerte die Aussage.
"37°" begleitet Betroffene von sexuellem Missbrauch durch Mitglieder der evangelischen Kirche. Wie geht die evangelische Kirche mit diesen Fällen und diesem Thema um? Wie erleben Betroffene den Aufarbeitungsprozess? Was genau hat die ForuM-Studie bewirkt? Wie geht die Kirche mit den Tätern um? Und wie kann es gelingen, die evangelische Kirche zu einem sicheren Ort für alle zu machen?
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